Donnerstag, 09.05.2024 21:49 Uhr

Kultursangebote in der afro-kolumbian. Gemeinde Gamero

Verantwortlicher Autor: Kurt Lehberger Gamero, 04.03.2024, 09:09 Uhr
Presse-Ressort von: Kurt Lehberger Bericht 5971x gelesen
Rinder auf einer Strasse von Gamero
Rinder auf einer Strasse von Gamero   Bild: Kurt Lehberger

Gamero [ENA] Wir treffen Heriberto (Name geändert), 82 Jahre alt. Er ist hier in Gamero geboren, baute Yucca und Bananen an. Neben der Arbeit als Kleinbauer war er in der Holzwirtschaft und als Fischer in der naheliegenden Lagune Matuya tätig. Als junger Mann kam er mit Einwanderern aus der Türkei zusammen.

Er diskutierte mit seinem türkischen Freund die Sinnlosigkeit des Krieges. „Warum müssen Kinder im Krieg sterben? Warum gibt es Krieg?“ fragte er uns. Ich antwortete ihm. „Es gab 1932 einen Brief von Albert Einstein an Sigmund Freund mit der gleichen Frage, warum gibt es Krieg? Freud antwortete… erstens, solange es böse Menschen, Diktatoren, gibt, die andere unterdrücken, müssen wir uns wehren. Zweitens. Im Menschen gibt es das Böse und das Gute. Das Böse ist der Todestrieb. Das Gute die Libido, der Liebestrieb. Wir müssen dafür sorgen, dass die Libido stärker ist als der Todestrieb. Drittens, wie erreichen wir das? Freud sagt, indem wir Bildung und Kultur fördern. Damit können wir die Vernunft und die Liebe über das Böse stellen.“

Bildung und Kultur sind die Grundpfeiler des Projektes von Red Antorchas (die rotbrennenden Fackeln), das wir heute besuchen. Die Kinder und Jugendlichen nehmen an Workshops für Musik und Tanz teil. Zehn Frauen, die von Gewalt betroffen waren, üben gemeinsam das Kunsthandwerk der Weberei aus. Sie weben Taschen (Mochillas), „stricken“ Hängematten u.a. und verkaufen ihre Produkte. Die Mädchen erlernen das Kunsthandwerk von ihren Müttern. Die Jungen bauen traditionelle Musikinstrumente, wie zum Beispiel Flöten. Tanzen, Singen und Lieder komponieren werden in Workshops für ca. 120 Kindern angeboten. Die Workshops sind offen für alle und finden außerhalb der Schule statt.

Sie sind ebenso ein Beitrag für die soziale Entwicklung. Sie ist wichtiger Bestandteil im kolumbianischen Friedensprozess. Gewaltfreiheit und die Kinderrechte z.B. auf Unversehrtheit und eine gesunde Umwelt stehen im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit. In einem Gespräch mit der Dezernentin für Familie und Soziales im Rathaus von Gamero erfahren wir, dass zurzeit 100 Fälle von sexueller Gewalt und sexuellem Missbrauch von Kindern bearbeitet werden. Die vorwiegend kleinbäuerliche, afro-kolumbianische Gemeinde lebt nahe an der Lagune Matuya. Wir gehen mit den Einwohnern an die Lagune und sind von der Schönheit und Stille des Ortes beeindruckt. Ein Fischer zieht stehend in seinem Kanu an uns langsam vorbei.

Die Lagune gleicht einem Naturschutzgebiet. Doch der Schein trügt. Die Großgrundbesitzer, es sind vier Familien, wirtschaften hier in Monokultur. Sie bauen Palmen zur Gewinnung von Palmöl an und unterhalten Bananenplantagen. Die Folge sind Umweltschäden durch Pestizide und Wasserknappheit. Die Laguna wird von einem Fluss gespeist. Seit einigen Monaten ist der Zufluss abriegelt. Die Bauern wehren sich. Sie sind allerdings eingeschüchtert, da die Großgrundbesitzer ihre Macht verteidigen. Es wurde uns gesagt, dass bereits einige Personen getötet wurden. Das ist eine Form des Mundtot-Machens in Kolumbien. Die brutalste Gewalt wird angewendet. Man sagt uns, eine Führungsrolle im politischen Prozess zu spielen, sei lebensbedrohend.

Die kolumbianische Gesellschaft wird nach wie vor von gewaltausübenden, paramilitärischen Gruppen geprägt. Die neue Regierung versucht das zu ändern. In Gamero sind die neuen politischen Führungskräfte erst zwei bis drei Monate im Amt. Es besteht Hoffnung auf eine positive Veränderung. In der Lagune sind bereits einige Fischarten ausgestorben. Der öffentliche Druck nimmt zu. Die Campesinos, Kleinbauernfamilien, erheben ihre Stimme. Seitdem die neue Regierung an der Macht ist, setzt sich die lokale Verwaltung mehr für die Interessen der afro-kolumbianischen Gemeinde ein als in früheren Zeiten. Das soziale Projekt setzt auf Bildung. Die Kinder lernen, dass sie Rechte haben. Ein Recht auf Bildung, ein Recht auf eine gesunde Umwelt.

In einer Aktion sammelten die Kinder alle Dinge, die nach Ansicht der Kinder in Gefahr sind, in einer Bildergalerie. Das Ergebnis wurde über die sozialen Medien verteilt. Das Projekt arbeitet gegen Kulturverlust. Durch Musik, Tanz und Kunsthandwerk werden die traditionellen Künste und das praktische Wissen der afro-kolumbianischen Ethnien wiederbelebt, am Leben erhalten und an die zukünftigen Generationen weitergegeben. Das Lied des Friedens – Gotas de Paz - ist auf youtube zu finden https://www.youtube.com/watch?v=PW8Ru2D5uJQ . Wir kommen mit zehn Kindern, neun Mädchen und einem Jungen zusammen und diskutieren mit ihnen. Sie berichten, wie sie durch die außerschulischen, kulturellen Bildungsangebote ihr Leben positiv verändern konnten.

Sie kämpfen für eine gerechtere Welt. Sie wollen als Frauen eine stärkere Beteiligung am Leben. Sie kämpfen gegen Gewalt, sie kämpfen gegen Gewalt gegen Frauen. Sie erfahren in Informationsveranstaltungen und Workshops wie Lösungen aussehen können, um eine friedlichere Umgebung zu schaffen. Sie werden aufgeklärt über Missbrauch und Misshandlung und wie sie damit umgehen können. Sie stehen fest zu dem Wiederaufleben ihrer Kultur. Sie engagieren sich in Tanz, Musik und Kunst. Sie haben gemeinsam das Video „Bochincheras“ – Klatsch und Tratsch der Frauen - erzeugt und verbreitet. Das Video ist eine fiktive Geschichte einer Mädchenband, die gegen die Gewalt gegen Frauen Stellung bezieht und Lösungsansätze anbietet.

Die von Gewalt betroffenen Mädchen und Jungen sind oft traumatisiert und brauchen psychologische Hilfe. Im Projekt von Red Antorchas erhalten sie die psycho-soziale Unterstützung. Am 13. Februar wurde eine neue Schule „Das Haus der Kinder und Jugendlichen der Afrokolumbianischen Kleinbauern mit einem großen Musik- und Tanzfest eröffnet. Musik aus dem Festival ist hier zu finden: https://www.youtube.com/watch?v=PgxN8-ynhTE

Eine Abgeordnete aus dem Parlament in Bogota als auch die Familien- und Sozialdezernentin von Gamero im Bezirk Mahates haben teilgenommen und jeweils eine Ansprache gehalten. Das Projekt wird von terre des hommes und dem BMZ finanziell unterstützt. Weitere Bilder zu dem Artikel sind in der Fotogalerie bei European News Agency mit diesem Link zu finden: https://bit.ly/3Ijyglw

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