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Ein Freiwilliger in Auschwitz

Verantwortlicher Autor: Kurt Lehberger Frankfurt am Main, 08.01.2024, 09:29 Uhr
Presse-Ressort von: Kurt Lehberger Bericht 5213x gelesen

Frankfurt am Main [ENA] Witold Pilecki (1901 – 1948) war ein polnischer Kavallerieoffizier und arbeitete in einer Widerstandsorganisation im von Deutschland besetzten Polen. Er ließ sich freiwillig verhaften und nach Auschwitz bringen. Als polnischer Widerstandskämpfer war sein geheimer Auftrag, Informationen über das neue deutsche Konzentrationslager in Auschwitz zu sammeln und herauszuschmuggeln.

Grundlage des Artikels ist das Buch The Volunteer: The True Story of the Resistance Hero who Infiltrated Auschwitz von Jack Fairweather (Autor), Penguin Random House UK, 2019 Der Freiwillige: Die wahre Geschichte des Widerstandshelden, der Auschwitz infiltrierte Kommentierte Auszüge: Der Weg am Flussufer wurde mit Birken bepflanzt und bekam den Namen „Birkenallee“. Mehr als 15.000 Gefangene wurden seit der Eröffnung von Auschwitz eingeliefert. Aber nach weniger von einem Jahr sind es nur noch 8.500. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden erhöht. Der Stacheldrahtzaun wurde verdoppelt. Kommandant Höß hat sich eine neue Form der Kollektivbestrafung für Flüchtende überlegt.

Zehn Gefangene wurden zufällig aus dem Block der Geflohenen ausgewählt und mussten als Gegenleistung verhungern. In diesem Zusammenhang sei Marian Batko, ein 40 Jahre alter Physiklehrer aus Krakau, erwähnt, der freiwillig an die Stelle eines Teenagers, der ausgewählt wurde, trat und sich opferte. Witold berichtet, dass jeden Abend das Gefangenenorchester am Tor militärische Märsche für die Gefangenen, die zur Arbeit gingen und für die, die von der Arbeit zurückkamen, spielte. Die Gefangenen konnten gelegentlich beobachten, wie SS-Männer, die frei hatten, ein Sonnenbad in ihrem Garten nahmen und mit ihren Kindern am Sola Fluss spielten.

Hunderttausende von sowjetischen Soldaten wurden jede Woche gefangen genommen und in großen Zelten untergebracht mit wenig Nahrungsmittel und wenig Brot. Im Juli 1941, wenige Wochen nachdem die Invasion begann, waren mehrere hundert sowjetische Gefangene in Auschwitz angekommen. Sie wurden brutal durch die Kapos, die mit Schaufeln und Pickel bewaffnet waren, zu Tode geschlagen und in die Kiesgruppe geworfen. Die Nazis hatten einen neuen Plan. Sie wollten im eigenen Lager einen Ort schaffen, wo sie Gefangene effizient in Massen vergasen konnten. Himmler hatte eine Vereinbarung mit dem deutschen Militär getroffen, 100.000 sowjetische Gefangene nach Auschwitz zu transportieren.

Er hoffte, die meisten davon in Arbeitslager zu bringen, nach dem die Kommunisten und die Juden darunter eliminiert waren. Eines Morgens führte der Kommandant die Ärzte zu dem jetzt umgebauten Strafblock. Das Fundament war mit Beton ausgegossen. Alle trugen Gasmasken und besichtigten den Ort. In der Nacht waren nach Aussage einer Krankenschwester 850 sowjetische Gefangene hier vergast worden. Die Toten waren auf engstem Raum zusammengepresst, die Hautfarbe war bläulich. Die Menschen schienen zu ahnen, was mit ihnen passiert. Am Eingang waren die Körper von unten nach oben aufgetürmt. Die Leichen wurden dann mit Karren zum Krematorium weggebracht.

Im Oktober 1941 kamen 12 überfüllte Züge mit sowjetischen Kriegsgefangenen in Auschwitz an. Sie wurden außerhalb der Baracken in der Nacht untergebracht. Sie waren unbekleidet und froren. Witold schrieb einen zweiten Bericht über die Vergasung der sowjetischen Kriegsgefangenen. Anfang November waren es bereits 10.000 sowjetische Kriegsgefangene. Das waren mehr als die polnischen Gefangenen. Es wurden neue Baracken gebaut, um hunderttausend aufzunehmen. Die SS plante 174 neue Baracken über ein Gebiet von 8 Hektar aufzubauen. Nach Witolds Quellen wurden 3.150 sowjetische Gefangene während eines Monats umgebracht. Das waren mehr als umgebrachte Polen im ganzen ersten Jahr in Auschwitz.

Die Menschen in USA oder in Großbritannien konnten keinen Platz für diesen unvorstellbaren Horror, der sich in Auschwitz ereignete, in ihrem Gewissen finden. Sie hatten nicht die Vorstellungskraft und den Mut, sich dem zu stellen. So der niederländische Theologe Willem Visser ‘t Hooft nach dem Krieg über das Versagen der britischen Regierung, die Massenvernichtung in Auschwitz zu beenden. Man wollte die Realität nicht sehen. Weder durch das Gewicht der Beweise noch durch eine Empathie. Es blieb das Zwielicht. 1941 wurde ein sogenanntes Schwarzbuch für Polen herausgegeben. Die Berichte von Witold waren enthalten, allerdings fehlten die Experimente mit Gas zur Vernichtung von Menschen wie die sowjetischen Kriegsgefangenen in Auschwitz.

Die Zahlen vom März 1942 bestätigten die Befürchtungen: von 30.000 Polen, die im Lager registriert waren, waren nur noch 11.132 am Leben. Die Zahl bezieht zirka 2.000 polnische Juden und Jüdinnen mit ein, die in das Lager kamen, aber inzwischen alle tot waren. Von den 12.000 sowjetischen Gefangenen, die in das Lager kamen, waren gerade mal 100 noch am Leben. Die Nazis erweiterten ständig die Suche nach Methoden der industriellen Vernichtung. Das T4 Programm hatte bereits spezielle Vergasungs-Lkws, die Carbon Monoxid in das Wageninnere leiteten, um Patienten zu töten, die zu weit weg von Gaskammern waren.

Himmler organisierte diese mobilen Lastwagen, um sie im besetzten Russland einzusetzen, um seinen Männern das Trauma der Erschießungen von Zivilisten zu ersparen. Im Januar 1942 während der Wannseekonferenz in Berlin wurden die Pläne diskutiert, alle Juden zu deportieren und zu ermorden. Das Programm ist unter der Bezeichnung Endlösung geführt. Anfang März wurden die verbliebenen sowjetischen Gefangenen in neu erstellte Baracken in Birkenau gebracht. Die Inhaftierten nannten Birkenau ironischerweise „Paradies“, weil nach Birkenau gebracht zu werden, bedeutete den Tod. Im März kamen auch Frauen nach Auschwitz. Himmler befahl, polnische, weibliche Gefangene ins das Lager aufzunehmen.

Im Mai 1942 wurde ein Bericht zusammengestellt, der das Ausmaß der Vernichtung im Osten dokumentiert. Der Bericht kam vom Bund, das war die Jüdische Arbeitsorganisation in Warschau, und er zog den richtigen Schluss, dass bereits 700.000 Jüdinnen und Juden ermordet wurden, und dass dies Teil des systematischen Plans zur Vernichtung aller Juden in Europa sei. Der Bund verlangte eine unmittelbare Antwort der Alliierten. Am 21. Juli wurde eine Demonstration gegen die Nazi-Verbrechen durch den American Jewish Congress im Madison Square Garden in New York organisiert. Es kamen 20.000 Menschen zusammen. Roosevelt und Churchill senden Stellungnahmen, die klar sagten, dass sie den Protest unterstützen.

In Wirklichkeit waren sie noch nicht so weit, dass sie die deutsche Ideologie gegen die Juden als Genozid ansahen, sondern sie waren der Meinung, dass die Verfolgung der Juden nicht zu unterscheiden sei von der Verfolgung von anderen Europäern. Inzwischen haben die Deutschen Auschwitz in eine regionale Tötungsfabrik transformiert, die der zentrale Hub für die Endlösung werden sollte. Die Judentransporte aus Westeuropa erhielten in der Presse eine gewisse Aufmerksamkeit, die begleitet war von der Frage, was war die finale Bestimmung der Transporte. Die Londoner Times berichtete am 8. August 1942, dass jüdische Mädchen von den Niederlanden „in Züge gesetzt wurden und in ein Lager gesendet wurden …

es ist nicht bekannt, welche Art von einem Lager…“ tatsächlich wurden mehr als 30.000 Juden nach Auschwitz im August deportiert, aber die Rolle des Lagers blieb ein Geheimnis. Der SS-Architekt Walter Dejaco entwarf zwei neue Krematorien, deren Leichenhallen in Gaskammern umgebaut wurden. Anstatt die Leichen aus den Gaskammern über Rutschen in die Leichenhalle zu transportieren, wurden nun Stufen bereitgestellt, so dass die jüdischen Opfer direkt in die Gaskammern gehen konnten. Diese neue Einrichtung erhöhte die Vernichtungskapazität des Lagers auf 6.000 Menschen täglich. Die Haftbedingungen für Arbeitshäftlinge verbesserten sich ab 1943. Die Nazi-Führung waren einem massiven Arbeitskräftemangel ausgesetzt.

Das Konzentrationslager spielte eine wichtige Rolle in der Kriegsproduktion. Neben der IG Farben wurden Dutzende kleinere Firmen angesiedelt. Es wurden Waschräume installiert und der allmorgendliche Appell wurde abgeschafft. Die Gefangenen bekamen die Zeit, sich zu waschen und sich zu rasieren. Viele begannen Zivilkleider zu tragen und nur ein roter Streifen am Arm oder auf dem Rücken markierten sie als Lagerhäftlinge. Kommandant Höß selbst gab Leitlinien heraus, um die Misshandlung von Gefangenen zu stoppen. Im März wurden die zwei neuen Krematorien und die Gaskammern in Birkenau eröffnet. Sie wurden gleich benutzt, um Juden aus dem Krakauer Ghetto zu vernichten.

Im April gelang es dem TWE Political Warfare Executive der britischen Regierung die Vernichtung der Juden in Auschwitz auf die Agenda zu setzen. Die Debatte führte dazu, dass sich das erste Mal höhere britische Beamte mit diesen Fragen auseinandersetzten. Allerdings verweigerten sie, die Berichte im eigenen Land zu verbreiten. Es gab zumindest ein begrenztes Berichten in polnischer Sprache. Am 11. April sendete die BBC eine Radiosendung des polnischen Dienstes über Auschwitz. Der Radiobeitrag der polnischen Reporter wurde streng von BBC Angestellten überwacht, so dass keine Abweichung vom Skript stattfand. Die Nachricht per Radio hatte nicht den erhofften Erfolg.

Hinzu kam, dass die Berichterstattung des Massengrabes im Wald von Katyn im Westen Russlands entdeckt wurde. Die Deutschen berichteten, dass das Grab Leichen von 3.000 polnischen Offizieren, die die Sowjets 1940 erschossen hatten, enthalte. Diese Nachricht erschütterte Polen so sehr, dass der drohende Tod der vielen Gefangenen in Auschwitz zweitrangig war. Ein Vertreter der polnischen Exilregierung forderte, dass die Alliierten die SS-Einheiten im Warschauer Ghetto und in Auschwitz bombardieren sollten. Die Briten stellten die Sinnhaftigkeit des Bombardements in Frage. Die US-Regierung kam zum gleichen Ergebnis. immerhin war es den Alliierten jetzt bekannt, dass eine Massenvernichtung der Juden in Auschwitz stattfand.

Im Mai 1943 wurde das Chelmno Todeslager geschlossen. Auschwitz war nun der einzige Ort des Nazi Genozids. Am 26. April 1943 gelang Witold die Flucht aus dem Lager Auschwitz. Seine letzten Eindrücke beschreibt er wie folgt: Wir passierten das Tor in der Abenddämmerung und ein oranges Licht viel auf die Inschrift über dem Tor „Arbeit macht frei“. Das Krematorium setzte Rauch frei. Das mussten die 33 Leichen sein, die an diesem Tag umgebracht wurden. Er wusste, dass anderswo in Birkenau die Feuer gezündet werden, um die 2.700 Juden und Jüdinnen von Thessaloniki in Griechenland zu verbrennen.

Er passierte auch die Straße von der aus er die Schornsteine der riesigen synthetischen Gummifabrik der IG Farben, die noch im Bau war, erblicken konnte. Tausende sind bei den Bauarbeiten der Fabrik umgekommen. Stalin hatte die diplomatischen Verbindungen mit der polnischen Exilregierung nachdem die Nachricht über das Massaker von Katyn verbreitet wurde, unterbrochen. Stalin breitete seine Rolle als neuer Besatzer von Polen vor. Witold entschied sich für die Unabhängigkeit Polens und trat einer antisowjetischen Zelle des Widerstandes bei. Im Mai 1944 war Witold wieder mit seiner Familie in Legionowo zusammen.

Im Juli 1944 besetzten die deutschen Ungarn und Deportierten 400.000 Juden und Jüdinnen nach Auschwitz. 5.000 wurden pro Tag vergast. Das brachte die Kapazität der Krematorien an die Grenzen. Es gab nun auch neue Berichte von geflohenen Häftlingen aus Auschwitz, die die Zahlen, die Withold in seinen Berichten nannte, bestätigten. Die Alliierten beurteilten die Berichte als glaubwürdig. Die Aufmerksamkeit wurde auf Auschwitz gelenkt. In Polen wurde die sowjetische Geheimpolizei gegen die polnischen Untergrundkämpfer eingesetzt. Stalin ließ es sich nicht nehmen, Polen als sein „Satellitenstaat“ sich einzuverleiben. Er setzte die Bedingungen für Polen nach dem Krieg.

Der Kampf um Warschau tobte. Die sowjetischen Führung beabsichtigte, dass die Deutschen erst die polnischen Aufständischen besiegen sollten, bevor sie selbst Gruppen nach Warschau schickten. Am 22. September 1944, nach 53 Tagen Kampf um Warschau, wurden die Deutschen gezwungen, einen Waffenstillstand zu schließen und Verhandlungen zu beginnen. Die Vereinbarung sah vor, dass polnische Kämpfer den Status der Kriegsgefangenen erhielten und in Kriegsgefangenenlager gebracht werden können. Zivilisten sollten in Arbeitslager gebracht werden. Am 2. Oktober unterzeichnete Polen die Kapitulation. Mehr als 130.000 Menschen starben im Kampf um Warschau. Die meisten waren Zivilisten.

Von den 28.000 Juden und Jüdinnen, die sich in der Stadt versteckten, überlebten weniger als 5.000. Warschau lag in Ruinen, in Schutt und Asche. Witold kehrte im März 1946 nach Auschwitz zurück. Nachdem Auschwitz befreit wurde, waren nun dort deutsche Gefangene untergebracht. Die polnische Regierung kündigte im März 1946 an, dass Auschwitz ein permanentes Denkmal werden solle. Witold erfuhr von Freunden, dass die Geheimpolizei hinter ihm her war. Er besprach die Lage mit seiner Frau Maria. Für ihn als auch für sie war ein mögliches Exil in Italien nicht das, was sie wollten. Sie wollten keine Verräter sein und hielten an dem Schwur fest, für ein unabhängiges Polen einzutreten.

Stalin vereinte sich mit der polnischen Kommunistischen Partei und zerschlug die Opposition, bevor die Wahlen stattfanden. Tausende von Menschen wurden gefangen genommen und die Vertreter der Oppositionsparteien geschlagen. So kam es zu Wahlfälschungen und die Kommunisten erreichten 80% der Stimmen. Polen war nun eine Ein-Parteien-Diktatur. Ein Witold Zitat sei an dieser Stelle angeführt: „ich habe viele Bekenntnissen meiner Freunde, bevor sie umkamen, gehört. Sie alle reagierten in einer unerwarteten Art und Weise: sie bedauerten, dass sie nicht genug von Ihrem Herzen von Ihrer Wahrheit anderen Menschen, die ihnen etwas bedeuteten, gegeben haben.

Das Einzige, was bleibt von ihnen auf der Erde, was positiv war und einen dauernden Wert hatte, war, was sie von sich für andere geben konnten." Der Fall Witold war einer der ersten Schauprozesse in Polen. Die Presse schrieb gegen Witold. Er wurde als Rädelsführer, der von westlichen Imperialisten bezahlt würde, bezeichnet. Ein Verräter, der die Gesellschaft und unsere wundervolle Jugend bedrohe. Auf Verrat stand die Todesstrafe. Trotz Petitionen von ehemaligen Auschwitz Häftlingen und von seiner Frau Maria, wurde Witold zum Tode verurteilt und am 25. Mai 1948 exekutiert.

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