Buchempfehlung: „Die Kinder von Beauvallon"
Frankfurt am Main [ENA] Bettina Storks gelingt es, die furchtbaren Erfahrungen von Verfolgung, Internierung, Deportation und Ermordung in der Zeit 1939-1944 in den Augen der Kinder, die in der Schule Beauvallon Zuflucht gefunden haben, zu beschreiben. Wie empfinden die Kinderseelen das Unfassbare?
Die Schule von Beauvallon und die Bewohner von Dieulefit sind ein leuchtendes Beispiel von zivilem Widerstand in der Zeit der Besatzung der Nazis und während der Vichy-Regierung. Bettina Storks schildert die furchtbaren Erfahrungen von Verfolgung, Internierung, Deportation und Ermordung in dieser Zeit in den Augen der Kinder. Ein zweiter Handlungsstrang führt uns in die 60er Jahre, als die Verdrängung über die Verfolgung und Vernichtung der Juden in Deutschland in allen gesellschaftlichen Bereichen vorherrschte.
Die Journalistin Agnes greift das Thema auf und recherchiert vor Ort in Frankreich, die Geschichte ihrer Freundin Lily, die aus Deutschland nach Gurs deportiert wurde und in der Schule Beauvallon unter falscher Identität überlebte. Die Auseinandersetzung mit Kollegen, Vorgesetzen und mit den BewohnerInnen des Tatortes der Deportation in Süddeutschland zeigen uns, wie wenig aus der Geschichte gelernt wurde. Das Wirtschaftswunder der 60er Jahre verdrängt die Schuldfrage bei den meisten Deutschen. Der Rundfunk spielt mit und nur wenige engagieren sich für mehr Aufklärung der Vergangenheit. Ich kann alle die im Buch dargestellten Geschehnisse im Prinzip bestätigen. Die Abgrenzung Wahrheit und Fiktion übernimmt die Autorin selbst im Epilog.
Die Verletzlichkeit der Kinderseelen war in den Nachkriegsjahren ein großes Thema in der Pädagogik. Ernest Jouhy, Professor für Pädagogik in Frankfurt am Main, und Vica Shentoub hatten 1948 dazu eine wissenschaftliche Arbeit vorgelegt. «L' évolution de la mentalité de l'enfant pendant la guerre ». Es braucht Zeit und viel Geduld, um die Kinder das Selbstvertrauen und das Vermögen wieder zu geben, mit dem normalen Alltagsleben umzugehen. Diese Erkenntnis wird über die erzählte Geschichte der beiden Freundinnen Agnes und Lily sehr gut dargestellt.
Wir haben heute viele Menschen, darunter mehrheitlich Frauen und Kinder, die vor Gewalt und Krieg aus der Ukraine, aus Syrien, aus dem Sudan u.a. Konfliktgebieten fliehen und gerade die Kinder brauchen unsere Hilfe, um das Erlebte zu verarbeiten. Kinderrechte sind von der UN etabliert worden, um gerade die Schwächsten besonders vor Gewalt, Hunger, Verfolgung zu schützen.
Über den zivilen Widerstand in Dieulefit gibt es ein Buch in deutscher Sprache: Bernard Delpal: Dieulefit, Rettungswiderstand eines Dorfes in der Provence während der Nazi-Besatzung, übersetzt von Ursula Bös, Frankfurt am Main 2021